Die Suche nach Hebammen beschäftigt uns nun schon eine ganze Weile. In einem reinen Frauenteam mit vielen jungen Hebammen war es absehbar, dass einige Hebammen selber zu Müttern werden - während dem Mutterschaftsurlaub ganz ausfallen und dann in einem reduzierten Pensum wieder bei uns einsteigen. Dass wir diese Hebammen behalten möchten, liegt auf der Hand. Es stellt aber die Geschäftsleitung immer wieder vor die Herausforderung, neue Hebammen für das Geburtshaus zu gewinnen. Aber wo sind sie denn nur - die Hebammen?

Mirjam Kelemen, seit 20 Jahren Hebamme, erzählt in diesem Interview von ihrem Alltag im Geburtshaus, wie sich dieser vom Spitalumfeld unterscheidet und warum es so schwierig ist, neue Hebammen zu finden.


Mirjam, warum arbeitest du im Geburtshaus?
Ich bin mittlerweile schon bald 20 Jahre Hebamme und habe in dieser Zeit viele Arbeitsmodelle kennengelernt. Vom Spital über Hausgeburten bis zur Hebammenarbeit im Geburtshaus. Im Spital konnte ich viel Erfahrung sammeln mit vielen verschiedenen Geburtssituationen. Hausgeburten finde ich persönlich etwas ganz Wundervolles - ich selber habe meine drei Kinder zu Hause geboren. Die Arbeit als Hebamme mit Hausgeburten stellt den Alltgag im realen Leben jedoch vor einige Schwierigkeiten. Als Hebamme ist man dann in ständiger Bereitschaft und auf Abruf. Mit eigener Familie war mir von Beginn weg klar, dass ich das nicht (mehr) gewährleisten kann. Mit der Hebammenarbeit im Geburtshaus ist es einfacher, da habe ich meinen Einsatzplan, ich kenne meine Dienstzeiten und kann entsprechend planen. Zugleich kann ich als Hebamme die Familien eng und persönlich und mit der ganzen Kunst der Hebammenarbeit betreuen.

Die Begleitung gesunder Frauen und deren Familien während der Schwangerschaft, Geburt und im Wochenbett ist die Kernkompetenz einer Hebamme. Diese Betreuung kann ich im ganzen Spektrum meiner Arbeit im Geburtshaus ausleben. Die Abwechslung zwischen Schwangerschaftskontrollen mit Frühschwangeren bis zur Geburt, Paare bei der Geburtsarbeit begleiten und dann weiter im Frühwochenbett, ist eine grosse Erfüllung, die ich nicht mehr missen möchte. Natürlich habe ich viel mehr Verantwortung. Aber dieses selbständige Arbeiten und gleichzeitig ein Team im Rücken zu wissen, ist fantastisch. Was ich auch sehr schätze ist, dass ich meine Hebammenkolleginnen bei Bedarf um ihre Meinung fragen kann und ich mich mit ihnen austauschen kann, oder das am Schluss bei jeder Geburt eine zweite Hebamme dazu kommt, ist eine riesen Unterstützung und Bereicherung.

Wie unterscheidet sich die Hebammenarbeit im Spital zu der im Geburtshaus?
Ich habe viel Zeit für die werdenden Eltern, darf selbständig arbeiten und kann meine Philosophie leben. Wir können uns im Geburtshaus 60 bis 90 Minuten Zeit nehmen für eine Schwangerschaftskontrolle. Wir begleiten Paare ab der 13. Woche bis zur Geburt. Jeder Abschnitt der Schwangerschaft hat seine eigenen Themen und Fragen und auf all das können wir im Geburtshaus eingehen. Bei der Geburt bieten wir eine eins-zu-eins-Betreuung. Das heisst, für jedes Paar ist eine Hebamme zuständig. Ich möchte nicht mehr drei Frauen gleichzeitig unter der Geburt betreuen müssen. Ich möchte den Paaren gerecht werden können und ihnen die Betreuung bieten, die sie in diesem wichtigen Prozess brauchen. Auch haben wir keine PDA-Möglichkeit (schmerzlindernde Teilnarkose) unter der Geburt. Da ist eben dann die Hebammenarbeit und die Unterstützung der Hebamme gefragt.

Im Frühwochenbett ist wieder etwas anderes wichtig: Die Bindung zwischen Mutter/Vater und deren Neugeborenen fördern und unterstützen, die Paare in die Ruhe bringen, beim Stillen begleiten und bei der Neugeborenenpflege behilflich sein zu können, ist etwas wahnsinnig Schönes. Die ganzheitliche Betreuung erfüllt mich in meinem Hebammen-sein.

Was ist deiner Meinung nach, die grösste Herausforderung vom Wechsel aus dem Spitalalltag in die ausserklinische Geburtshilfe?
Schwer zu sagen - für mich war es immer ganz klar, dass ich im ausserklinischen Setting arbeiten möchte. Ich glaube es braucht ein bisschen Mut, den Schritt zu wagen. Wobei rückblickend würden die meisten Hebammen vermutlich sagen, es hätte gar nicht so viel Mut gebraucht. Die Hebamme im Geburtshaus hat mehr Eigenverantwortung, das bestimmt. Keine Ärzte im Hintergrund zu haben zwingt zur vorausschauenden Schwangerschaftsbetreuung, aber auch Geburtsleitung. Natürlich kann es auch im Geburtshaus zu Notfallsituationen kommen, aber wir meiden und verzichten ganz bewusst auf gewisse Interventionen. Wir greifen wenig ins Geschehen des Geburtsverlaufes ein und gehen nicht an die Grenzen des Möglichen. Sind aber natürlich für alle Situationen ausgerüstet und dafür ja auch ausgebildet und geschult.

Was für Eigenschaften müssen neue Hebammenkolleginnen mitbringen?
Idealerweise ein bisschen Berufserfahrung. Aber es müssen auch keine zehn Jahre sein. Freude an der ganzheitlichen Hebammenarbeit, selbständiges Arbeiten und Mitdenken wollen und Herzblut für den Hebammenberuf.

Woran könnte es deiner Einschätzung nach liegen, dass es so schwierig ist, neue Hebammen zu finden?
Ganz allgemein gibt es zu wenige Hebammen auf dem Markt. Auch alle Spitäler ringen um Hebammen. Der Fokus des Hebammenstudiums ist fast gänzlich auf den Spitalalltag gerichtet. Nur wenige Hebammenstudentinnen haben überhaupt die Möglichkeit, einen Einblick in die ausserklinische Geburtshilfe zu erhalten. Da sind wir natürlich auch in der Eigenverantwortung, den Studentinnen ein Praktika im Geburtshaus anzubieten. Bei uns sind die Studentinnen im Wochenbettpraktikum für jeweils 10 Wochen. Jetzt wird dieser Block des Praktikums verlängert, was wir sehr begrüssen. Es gibt viele junge Hebammen, die sich nach der Ausbildung oder nach kurzer Zeit beruflich neuorientieren. Vielen ist es dann doch zu streng Schichtarbeit zu leisten, Wochenenddienste zu haben, auf Abruf zu sein etc. Was bei uns im Geburtshaus erschwerend dazu kommt ist, dass wir nebst Schichtarbeit auch Pikettdienst leisten. Das heisst, die Hebamme, welche für die Geburten zuständig ist, ist zu Hause auf Abruf. Für viele sicherlich ein Hindernis. Wir sind uns dessen aber bewusst und sind auf dem Weg ein Arbeitszeitmodell zu finden, welches dieser Problematik entgegenkommt.


Vielen Dank für das Interview.

 


Liebe Hebamme - falls dich die Hebammenarbeit im Geburtshaus interessierst, dann freuen wir uns sehr, wenn du mit uns Kontakt aufnimmst: geschäftsleitung@geburtshaus-sg.ch.

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